VORSCHAU: Abgehangen

Wenn Ihr, liebe Leserschaft, des weiblichen, männlichen oder was für einem Geschlecht auch immer, die kommende Ausgabe unserer kleinen kulturkritischen Kampfschrift aus dem Plasteaufsteller am Distributionsort eures Vertrauens ­heraus zieht, idealerweise natürlich voll freudiger Neugier und Erregung, dann sollte auch der Frühling als sprichwörtlich blaues Band – und hier ist ausdrücklich nicht das neu-alte Völkischblau gemeint – munter durch die Boulevards des Westens wehen und den allgegenwärtigen Winterschlaf beendet haben. Ab mit alten Bärten! Dumpf abgehangen haben wir zuletzt genug! Stichwort »Bart«: Bei Redaktionsschluss stand noch nicht fest, ob unser zukünftiger Stadthäuptling Jung oder doch jünger sein wird. Vielleicht ist es inzwischen erste Bürgerpflicht (männlicherseits), auch so eine schicke Schenkelbürste im Gesicht zu tragen wie der selbstbewusste Herausforderer und Proto-Hipster von Scharfrechts, dessen Grinsekatzgesicht uns in den letzten Wochen überall von Propagandastellwänden diabolisch verfolgte. Stichwort »Ego«: Das Ich ist Illusion; das weiß nicht nur Brain-Doc Reißig, das weißt auch Du, lieber Leser und liebe Leserin. Daher überlegen wir, im April mit gutem Beispiel voran zu schreiten und auf diese drei Buchstaben (zur Erinnerung: ICH), gänzlich zu verzichten. Ob es uns gelingt? Bleibt dran und schaltet wieder ein, wenn es heißt: »Draußen nur Kännchen, Schätzchen!«

Die Ausgabe 04/20 erscheint am 1. April 2020. Kein Scherz.

Spiegelei

Im Herz der Finsternis

Von Michael Fürch

Tram 15, Miltitz Richtung Meusdorf. Ein junger Amerikaner, Jake ist sein Name, spielt in der Bahn Gitarre. Sehr laut und voller Inbrunst. Er singt ein Lied, das vom »Fucking War Business« handelt. Außer seiner Musik ist nichts zu hören. Niemand spricht. Keiner ermahnt den Sänger, endlich mit dem schrägen Geklampfe aufzuhören. Eine diffuse Befangenheit ist spürbar.

Spiegelei weiterlesen

Reißig und Völker müssen reden (17)

Worüber man nicht mehr spricht, ist nicht mehr da

Drei Tage nach einer lehrreichen Konversation am Tresen des Vereinsheims trafen sich Rising Reißig (Arzt, Sportkletterführer) und Timm Völker (Patient, Musiker) um sich über den Inhalt selbiger Unterhaltung zu unterhalten. Beide befinden sich zum Zeitpunkt des Gesprächs schon seit mehreren Wochen in den Fängen einer Atemwegserkrankung unbekannter Provenienz, weshalb das Gespräch durch häufiges trockenes Husten unterbrochen wird. Trotz allem werden sie, ihrer selbstauferlegten Doktrin folgend, versuchen am Thema der Ausgabe dran zu bleiben und eisernen Widerstand gegen den inneren Drang Phantasmagorien zu bilden ankämpfen. Ob sie diesen Kampf gegen sich selbst bestehen, entnehmen Sie bitte dem folgenden Gesprächsausschnitt.

Reißig und Völker müssen reden (17) weiterlesen

Kein Ort Nirgends

Angst essen Hunde auf

Von Patrice Lipeb

Es ist schon lustig, dass ausgerechnet Hundebesitzer dazu genötigt sind, sich in steter Regelmäßigkeit kommunikativ mit all Jenen auseinander zusetzten, denen danach gerade der Sinn zu stehen scheint und obendrein zufällig ihren Weg kreuzen. Markiert doch der Besitz eines Hundes, viel eher eine demonstrative Abkehr vom vertrauensvollen Umgang mit der eigenen Spezies, als dass er den Halter als besonders smalltalkaffin ausweist.

Kein Ort Nirgends weiterlesen

Raum der Stille

Von Sven Glatzmaier

Anfang vergangener Woche ergab es sich, dass ich dem Waldklinikum in Gera überraschend einen Krankenbesuch abstattete.
Die Großmutter meines Herzblattes erlitt wenige Tage vorher einen Schlaganfall.
Ich kenne die Omama & mag sie & es stellte sich als sinnvoll heraus, dahin mitzufahren & im besten Falle ein wenig Power dortzulassen.

Raum der Stille weiterlesen

Freunde im Januar

Von D.H. Elle

15.12. Herr P. klingelt und fragt nach fünf Euro.
16.12. Herr P. klingelt und gibt mir fünf Euro.
17.12. Herr P. klingelt und fragt nach zwei Euro.
18.12. Herr P. klingelt und gibt mir zwei Euro.
19.12. Herr P. klingelt und fragt nach Tabak.
22.12. Herr P. klingelt und fragt nach zehn Euro.
25.12. Herr P. klingelt und gibt mir zehn Euro.

Freunde im Januar weiterlesen

Hamletwaschmaschine

Von Markus Pohle

Ich hänge die Wäsche nicht ab. Sie hängt seit acht Tagen. Ich kaufe zwei Flaschen Bier im Späti für drei Straßenzüge Weg. Die Zwei-für-einszwanzig-Krombacher-Pils-Aktion ist vorbei, einsvierzig jetzt. Auf der Einfassung des Gehwegs liegt ein einzelner Handschuh. Im Obergeschoss der Kneipe kostet das Konzert, welches ich absichtlich fast komplett verpasst habe, keinen Eintritt.

Hamletwaschmaschine weiterlesen