Hamletwaschmaschine

Von Markus Pohle

Ich hänge die Wäsche nicht ab. Sie hängt seit acht Tagen. Ich kaufe zwei Flaschen Bier im Späti für drei Straßenzüge Weg. Die Zwei-für-einszwanzig-Krombacher-Pils-Aktion ist vorbei, einsvierzig jetzt. Auf der Einfassung des Gehwegs liegt ein einzelner Handschuh. Im Obergeschoss der Kneipe kostet das Konzert, welches ich absichtlich fast komplett verpasst habe, keinen Eintritt.

Zwei der tanzenden Besucherinnen sind als Spicegirls verkleidet, unter Schlaghosen lugen Plateauschuhe heraus. Ich laufe auf meiner Zielgeraden zur Bar aus Versehen in eine rein, in die ich mal verliebt war. Sie hat jetzt ein Kind und brüllt den Musikern aus Leibeskräften unverständliches Zeug zu. Später wird sie mit irgendeinem am Tisch sitzen, dessen Gesichtszüge ich nicht lesen kann, und sehr große Augen haben. Ich fühle mich unwohl mit dem Gedanken, meinen Stehtisch an der Bar zu verlassen, der auch der Unort meines Voyeurismus ist, um zur Toilette zu gehen. Ich kann hier unbeschadet Beisitzer sein, ohne übersehen zu werden. Mit den aus der Jackentasche gekramten viereurozwanzig kaufe ich ein Glas Weißen Wein und bin von dieser pathetischen Bezeichnung des Barkeepers erstaunt und genervt. Mein Hochsitz mit Fußstütze hält mich gerade. Vor meinen Augen spielt sich das Gehampel ab, dass meist unweigerlich am Ende eines Konzertes steht – das betrunkene Publikum hat einen Draht zur ihm vorher unbekannten Musik aufgebaut, die Musiker erlauben sich der Reihe nach prahlerische Solos, an die vor zwei Stunden noch nicht zu denken war, während die anderen Bandmitglieder bestätigend nicken und an ihrem Flaschenbier nippen. Es stinkt. Die Exzessivität der Anderen gibt mir in meiner versteiften Sitzhaltung Ruhe. Meinem friedlichen Entrücktsein steht im Weg, dass ich einen guten Teil der Leute, die da tanzen kenne, dass ich hier oft bin. Neben und hinter mir stehen mir bekannte und liebe Gesichter, die ich fast nicht wahrnehme, aber ich trage meine etwas weitere Jacke und niemand wird etwas merken. Meine geistige Abwesenheit ist für eine Traube Angetrunkene nicht von der szeneüblichen Arroganz zu unterscheiden. Mit dem schwarzen Mantel wäre das schwieriger geworden, aber gegenüber einem in Turnschuhen und Wachsjacke wird hier keiner skeptisch. Am wenigsten raumgreifend ist man, wenn man sich ins Dekor einpasst. Ich überlege, nach Hause zu gehen, aber mein Tabak ist fast alle, die Karte gibt kein Geld mehr aus und ich gedenke, mir solange ich noch Wein habe, Zigaretten zu schnorren. Solang die Musik laut läuft, muss man nur Augenkontakt suchen, Lächeln und mit den Daumen der gegenüber gestellten Hände an der Innenseite von Zeige- und Mittelfinger reibend eine Drehbewegung nachahmen, und erntet dann entweder hektisches Suchen in den umliegenden Jacken und Gürteltaschen oder ein betretenes Lächeln, dass sich in einem überdeutlichen Hochziehen beider Schultern ausgeht. Den schweigsamen Widerspruch noch auf der Zunge lecke ich unbeteiligt das mir gereichte Zigarettenblättchen an und besiegle die herunter zu schluckende Anzahl Worte. Im Gehen fragen mich zwei säuselnde Lippen, ob meine Jacke echt ist und ich bereue, nicht doch den Mantel angezogen zu haben. Den kennt niemand mit Vornamen. In der Jackenwahl liegt die Unschärfe der eigenen Zuortbarkeit. Hinter der Stirn rattert der Karteikasten nach literarischen Entsprechungen. Wo dich keiner verorten kann, kommst du an: In der Einsamkeit der Flughäfen atme ich auf. (Hamletmaschine) Ich nicke ab und, als hätte ich ob dem Lärm nichts verstanden, halte ich den zwei Lippen mein Feuerzeug hin. Die zugehörigen Hände winken ab und ich stecke es wieder in die Tasche. Zuhause wartet die Wäsche.