Von D.H. Elle
15.12. Herr P. klingelt und fragt nach fünf Euro.
16.12. Herr P. klingelt und gibt mir fünf Euro.
17.12. Herr P. klingelt und fragt nach zwei Euro.
18.12. Herr P. klingelt und gibt mir zwei Euro.
19.12. Herr P. klingelt und fragt nach Tabak.
22.12. Herr P. klingelt und fragt nach zehn Euro.
25.12. Herr P. klingelt und gibt mir zehn Euro.
31.12. Herr P. klingelt, weint und fragt nach zwanzig Euro. Heute sei Silvester.
01.01. Ich klingele bei Herrn P. und gebe ihm fünfzig Euro.
04.01. Herr P. klingelt und gibt mir siebzig Euro.
06.01. Herr P. klingelt und fragt, ob ich seine Katze nehmen könne. „Warum?“ – „Ich verliere die Wohnung.“ Er gibt mir ein kleines Parfumfläschchen von seiner verstorbenen Tante. U d V – Paris – pour elle – Gold – Issime – Ulric de Varens. „Der Kater heißt Fritzchen.“
08.01. Ich klingele bei Herrn P. und frage ihn, wo das stehe, dass er die Wohnung verliere. Er sagt, er habe alle Briefe zerrissen. Ich frage ihn, ob er die Miete nicht gezahlt habe. Er sagt: „Wahrscheinlich.“ Ich frage ihn, seit wann. „Schon sehr lange.“ Er sagt: „Das Amt.“
09.01. Ich klingele bei Herrn P. und biete ihm an, Dinge, die er nicht benötigt, bei Ebay zu versteigern, damit er Bargeld hat. Er sagt, ich solle das Bettzeug und die Matratze fotografieren. Er schlafe jetzt immer auf dem Sofa. Weil er Angst habe, dass jemand komme und ihn hole. Er sagt, Schuld sei sein Briefkasten. Der hänge so allein. Der Postbote würde ihn immer vergessen. Dann stellt er sich auf die Zehenspitzen und sieht den Briefkasten scharf an. „Siehst du, schon wieder kein Brief, sonst wäre die Ritze weiß.“
10.01. „Sabini” und „privat“ melden sich per Mail. Sie wollen die Matratze von Herrn P. für fünfzig Euro kaufen. Ich vereinbare mit „Sabini“ einen Besichtigungstermin für den 12.01.
11.01. Ich klingele bei Herrn P., um die Matratze zu holen. Er macht nicht auf.
12.01. Ich sage „Sabini“ ab. Herr P. klingelt bei mir und gibt mir eine Packung Kaffee. Ob ich etwas aus seiner Wohnung haben wolle. Er müsse raus. Er könne ja nicht alles auf die Straße stellen. Ich frage ihn, ob er einen Brief vom Gerichtsvollzieher bekommen habe. Er sagt: „Nein.“ Er hätte da aber noch einen dicken Brief, den er nicht öffnen könne. „Angst.“
13.01. Ich klingele bei Herrn P. und schlage ihm vor, mit ihm zu einem Erwerbslosenhilfe-Verein zu gehen, gleich hier um die Ecke. Die könnten Eilanträge für das Amt machen. Herr P. schüttelt den Kopf. Er gibt mir eine Flasche Rotkäppchen und fragt nach fünf bis zehn Euro.
15.01. Herr P. klingelt und sagt, dass er von einem Erwerbslosenhilfe-Verein gehört habe und gibt mir neun Euro. Ob ich mit ihm da mal hingehen könne. „Immer dienstags. 17 Uhr.“ sage ich und wir verabreden uns für Dienstag, 17 Uhr.
21.01. Ich klingele um 17h bei Herrn P. Er macht nicht auf.
22.01. Er klingelt. Er hätte es gestern nicht geschafft. Er hätte zu seiner Mutter gemusst. Ich frage ihn, ob er irgendwelche Papiere habe, die wir noch durchgehen sollten. Er sagt, es gebe ja den Brief. Aber den mache er nicht auf.
23.01. Herr P. legt mir einen Zettel vor die Tür mit seiner Handynummer. „Wegen Wohnung“ steht darunter.
24.01. Ich klingele bei Herrn P. Er macht nicht auf. Ich sehe bei Ebay-Kleinanzeigen, dass ich dreiundzwanzig neue Nachrichten für „Bettdecke, Daune“ und „Matratze 90 mal 200“ habe.
28.01. Ich klingele bei Herrn P. weil es wieder Dienstag ist. Er öffnet lallend die Tür, gibt mir ein Bier und sagt, ich solle wieder hochgehen. „Wir machen das morgen. Ich heiße übrigens A.“
31.01. A. klingelt bei mir Sturm. Ich mache nicht auf.
01.02. Ein Mann vom Ablese-Service klingelt bei mir. Ich habe plötzlich Angst, dass A. sich umgebracht hat. Ich frage den Mann, der in meinem Schlafzimmer Thermostate abliest, ob im Erdgeschoss jemand aufgemacht habe. So ein dürrer älterer Herr im Bademantel. „Ja“, sagt er. „Der ist doch immer da.“
05.02. Ich gehe die Treppe hinunter. A. macht plötzlich die Tür auf und hält mich am Arm fest. Ob ich seinen Brief jetzt öffnen könne? Ich sitze mit dem Brief auf A.s Wildlederimitatcouch. Mein Arm tut weh. Er hält sich die Augen zu. Im Fernsehen messen Chinesen in Schutzanzügen Fieber. „Betriebskostenabrechnung!“ sage ich und lache. Ich erkläre ihm, dass es noch nicht einmal eine Mahnung sei. „Ich muss auf die Straße“. sagt A.. „So landet man auf der Straße.“ und „Kein Wunder, dass man kriminell wird.“ und nickt mir zu. „Hier.“ Er gibt mir noch ein Parfüm von seiner verstorbenen Tante. Oui à l’amour – Eau de Parfum – Yves Rocher.
05.02 Ich sitze im Auto, es riecht nach „ Oui à l’amour“ . A. kommt im Bademantel angerannt. „Ich habe noch einen Brief gefunden!“ Ich sage: „Später!“ und fahre ihn fast über den Haufen.
05.02. Ich klingele bei A. „Was ist?“ sagt A.. „Brief!“ sage ich. Er bittet mich herein. Ich sitze auf der Wildlederimitatcouch und öffne einen dicken Umschlag. „Was steht da?“ – „Dass du seit Mai 2019 keine Miete gezahlt hast und sie dich fristgerecht zum September 2020 rausschmeißen.“ – „Ich lande auf der Straße.“ – Was ist mit den anderen Briefen?“ – „Kein Wunder, dass die Leute Drogen verkaufen.“ Er blickt mich an. Dann fragt er, was ich aus seiner Wohnung haben wolle. Und ob ich nochmal Geld hätte. Ich sage ihm, wir könnten am Dienstag endlich zu diesem Hilfe-Verein gehen und gebe ihm fünfzehn Euro. „Aber du musst reden!“ schreit er.
06.02. A. klingelt. Er gibt mir fünfzehn Euro. „Riecht gut“, sagt er. „Wir kochen Hühnchen.“ – „Antibiotikahühnchen.“ – „Zitronenhühnchen.“
10.02. Ich klingele bei A. und gebe ihm einen Schenkel Antibiotikahühnchen. „Morgen nicht vergessen“, sagt er.
11.02. Ich bin betrunken. Ich lege mich ins Bett und starre an die Decke. Es ist 00.32h. Ich habe A. vergessen.
13.02. A. klingelt und fragt nach zwanzig Euro.
14.02. A. klingelt und gibt mir zwanzig Euro.
16.02. A. klingelt. Ich mache nicht auf. Vor der Tür liegt ein gewaschener Teller.